Zum Abschied von Burkard Müller
Vorgetragen von Marlit Budis für den AK Willkommen anlässlich der ökumenischen Trauerfeier für Burkard Müller am 11. Januar 2019, St. Marien, Seligenstadt
“Zunächst möchte ich DANKE sagen. Danke, dass so viele – auch außerhalb Seligenstadts – heute gekommen sind, um sich von Burkard Müller zu verabschieden. Seit 2014 hat Burkard Müller als Gründer und motivierender Koordinator den Arbeitskreis Willkommen in Seligenstadt geführt. Mehrere Male wurde der AK Willkommen ausgezeichnet, er fand auch bundesweite Beachtung und Wertschätzung. Im Jahr 2016 erhielt Burkard Müller für sein Engagement den Deutschen Bürgerpreis.
Als ich darüber nachgedacht habe, wie wir uns als Ehrenamtliche des Arbeitskreises Willkommen in Seligenstadt auf würdige Art und Weise bei Burkard verabschieden könnten, wurde mir schnell klar, dass Abschiednehmen eine individuelle Sache ist, die jeder Einzelne von uns nur auf persönliche Art und Weise tun kann. Wenn ich also heute hier für den Arbeitskreis Willkommen stehe, dann will ich versuchen, einige Stimmen des Helferkreises sprechen zu lassen, die ich im Vorfeld eingeholt habe. Gleichzeitig bitte ich um Verzeihung, dass ich dabei nicht allen gerecht werden kann.
Burkard war ein ganz besonderer Mensch.
Es gibt viele Eigenschaften, die uns an seinem Wesen beeindruckt haben. Zunächst bewundern wir die Art und Weise, wie er es – zusammen mit Hanne – schaffte, den Arbeitskreis zu initiieren, aufzubauen und weiterzuentwickeln. Alles schien sich wie von selbst zu fügen, was natürlich nicht so war, sondern gut durchdachte Planung. Dazu bedurfte es des Geschicks eines klugen Koordinators, ausgestattet mit einem großen Spürsinn, motivierte Helfer zu finden, ohne dabei auch gleich detaillierte Aufgaben zuzuordnen, ohne Hierarchien aufzubauen. Hierarchische Strukturen waren ihm suspekt. Damit schuf er Raum für eigenständiges Mitwirken.
Um so etwas wie diesen Arbeitskreis auf die Beine zu stellen, braucht man gute Leute in allen Bereichen, und die haben sich unter seiner Koordination immer wieder gefunden und gehalten. Wir bewundern, wie Hanne und Burkard so viele nette, offene und freundliche Menschen zu einem Arbeitskreis zusammenbringen konnten. Und es ist Burkards Verdienst, dass sich alle einbringen konnten, jeder mit seinen Fähigkeiten, jeder auf seine Art und Weise, egal welchen Alters. Dieses Führungsgeschick war aus unserer Sicht eine von Burkards ganz großen Stärken.
Burkard war ein guter Motivator.
Seine ruhige, gelassene Art, die er bei seiner Moderation von Versammlungen oder Stammtischabenden für Interessierte an den Tag legte, hat viele zur Mitarbeit in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe bewogen. Er konnte beeindrucken durch sein selbstbewusstes, starkes, aber auch immer offenes und mit einem freundlichen Lächeln begleitetes Auftreten. Durch seine gewinnende Art konnte man sich ihm und seiner Sache nahe fühlen, auch wenn man ihn persönlich noch nicht so gut kannte. Burkard war menschlich und mitfühlend. Wir sind dankbar für seine Art, wie er vorbehaltlos mit jedem, der zum Arbeitskreis dazukam, umgegangen ist.
Bei Fragen zu persönlichen Anliegen nahm er sich stets Zeit und half nach besten Kräften. Ob Geflüchteter oder ehrenamtlicher Helfer – Burkard begegnete jedem mit großer menschlicher Zuwendung. Dabei suchte er immer nach pragmatischen und konkret durchführbaren Lösungen.
Und hier kam eine weitere wichtige Eigenschaft zum Tragen: Er war ein guter Netzwerker. Er wusste, wen er ansprechen, anrufen oder per E-Mail kontaktieren konnte, damit etwas passierte. Und auch diese Kontakte waren ganz in seinem Stil: Ein kurze Situationsbeschreibung, danach konnte sich jeder selbst einbringen.
Und dann gab es noch den anderen Burkard, den polarisierenden Burkard, der felsenfest zu seiner Meinung stand. Wenn es nach Bürokratie, überflüssiger Hierarchie oder politischem Opportunismus roch, konnte Burkard unbequem, anstrengend und sehr hartnäckig werden. Er schimpfte und war, um manches zu erreichen, oft wenig diplomatisch. Er war unkonventionell und ließ sich von Hürden nicht abschrecken, sondern dachte darüber nach, wie sie zu nehmen sind. Mit diesen Eigenschaften war es ihm möglich, Dinge, die unbeweglich erschienen, beweglich zu machen, Dinge, die für den einen oder anderen Geflüchteten unerreichbar erschienen, erreichbar zu machen. Wir sind dankbar, dass er genervt hat; wir sind dankbar, dass ihm kein einzelnes Schicksal zu klein war.
Die aufkommenden negativen Tendenzen und Entwicklungen gegenüber den Geflüchteten oder noch Flüchtenden in unserer Welt machten ihn tief betroffen. Aber er schwieg nicht, auch nicht bei Anfeindungen aus verschiedenen Strömungen innerhalb der Bevölkerung. Er ließ sich nicht einschüchtern, auch wenn er von Andersdenkenden Hassbotschaften erhielt.
Er war wie ein Fels in der Brandung.
Zusammen mit seiner Frau Hanne hat Burkard in Seligenstadt bemerkenswerte und unübersehbare Institutionen geschaffen.
Da ist FLIDUM, ein Ort, in dem Sprachvermittlung als Voraussetzung für Verständigung und Integration auch dann angeboten wird, wenn unsere öffentlichen Institutionen versagen. FLIDUM bedeutet „Flüchtlinge lernen integrativ Deutsch und mehr“. FLIDUM ist Anlaufstelle für vielfältige Anliegen von Geflüchteten geworden, ein Ort, an dem Menschen mit einem Anliegen keine Bearbeitungsnummern ziehen müssen und an dem auch keine Zuständigkeiten geprüft werden. Ein Ort, an dem Hilfe zur Selbsthilfe praktiziert wird. Ein offener, menschlicher und zugleich gut ausgestatteter Anlauf- und Treffpunkt für Geflüchtete. Hanne hat am Konzept und an der Realisierung von FLIDUM großen Anteil.
Da ist der FUNDUS, eine Sammel- und Ausgabestelle für Dinge des täglichen Bedarfs. Der FUNDUS lebt von Spenden aus der Bevölkerung und ist zugleich ein lebendiger Beweis, dass es in unserer Gesellschaft ein Bewusstsein für Bedürftige gibt. Er wurde mit Burkards Hilfe ins Leben gerufen, als die ersten Flüchtlinge in großer Zahl hier ankamen, es den Ankömmlingen sogar am Notwendigsten an Bekleidung mangelte, aber niemand dafür zuständig war. In dieser Zeit belieferte der FUNDUS sogar über Seligenstadt hinaus eine Erstaufnahmeeinrichtung im Umkreis. Mit der sich ändernden Bedarfslage hat auch der FUNDUS sein Aufgabenfeld geändert: Er hat sich geöffnet für die Versorgung aller Bedürftigen im Raum Seligenstadt mit Gegenständen für die Grundausstattung von Haushalten.
Und dann gibt es da noch die regelmäßigen Begegnungscafés, Ausflüge, Konzerte, Events, Sommerfeste oder Veranstaltungen, also all die gemeinsamen Unternehmungen zur Begegnung, zum interkulturellen Kennenlernen und zum Knüpfen von Kontakten. Wenn wir im Arbeitskreis unsere Ideen vorgetragen haben, hat Burkard uns immer sofort unterstützt und dabei geholfen, die finanziellen Voraussetzungen für die Realisierung zu sichern. Er war unser Bindeglied zu den politischen Institutionen und zur Wirtschaft. Er hatte damit eine Rolle übernommen, der nicht viele Ehrenamtliche gewachsen sind.
Burkard Müller hat das alles mit großer Gelassenheit und Umsicht getan, hat die angesprochenen Institutionen und Menschen in die Pflicht genommen. Er blieb dabei unermüdlich, mit Biss und cleverem Verhandlungsgeschick, ließ sich nicht von sich auftürmenden Hürden schrecken. Mit Burkards großer Gelassenheit ging ein wunderbarer Humor einher. Beides hat ihm sicherlich geholfen, authentisch zu bleiben und auch Distanz zu wahren zu Dingen, die er nicht ändern konnte. Dies ist ein Abschied, eine Leere, die nicht zu füllen ist. Aber wir wissen auch, dass die Wurzeln, die durch Burkard in den letzten Jahren gewachsen sind, sehr stark sind.
Es geht um nichts anderes als die Menschlichkeit.
Burkard hat seine gesellschaftliche Heimat hier in Seligenstadt gefunden. Er hat für sich – und für andere – den Sinn gefunden, für den es sich zu kämpfen lohnt. Auf die Frage, warum er sich für Flüchtlinge einsetzt, gab Burkard einmal die folgende Antwort: “Ich kann nicht einfach auf dem Sofa vor dem Fernseher sitzen und tatenlos zusehen, wie Menschen im Meer ertrinken. Wenn mich mein Enkelsohn einmal fragen sollte, was ich damals getan habe, möchte ich ihm eine Antwort geben können.”
Burkard und seine Überzeugungen leben in uns weiter. Er wird uns weiterhin anspornen – von wo auch immer. Der Gedanke daran, was er tun würde, wird uns weiterhelfen und weiter motivieren.
Wir trauern um den besonderen Menschen Burkard.
Wir trauern um Burkard als unseren Freund.
Wir bedanken uns für eine ganz besondere Zeit.
Wir werden Dich vermissen.”