Der Stand der Dinge: Rückblick und Resümee

Der Stand der Dinge: Rückblick und Resümee

18. Oktober. Seit seiner Gründung im November 2014 ist es ein Anliegen des Arbeitskreises Willkommen in Seligenstadt, die Grundversorgung der nach Seligenstadt gekommenen Geflüchteten mit Kleidung und Mobiliar durch den Fundus sicherzustellen. Das zweite wichtige Anliegen ist, durch Sprachunterricht alle in Seligenstadt angekommenen geflüchteten Menschen zur Beteiligung am gesellschaftlichen Leben zu befähigen, damit sie auch ihren Beitrag für ein gutes Zusammenleben in Seligenstadt leisten können.

In einer gemeinsamen Runde mit der damaligen Bürgermeisterin Dagmar B. Nonn-Adams, mit Vertretern der Pro Arbeit des Kreises Offenbach, der Kreishandwerkerschaft Stadt und Kreis Offenbach und dem AK Willkommen in Seligenstadt wurde das Projekt Sprache – Arbeit und Wohnen geboren. Die FAZ berichtete darüber. Hier eine kurze Zusammenfassung, wie sich dieses Projekt entwickelt hat…

Die Ausgangslage im Frühjahr 2015: 
Unabhängig davon, aus welchem Herkunftsland sie kamen, erhielten die Geflüchteten außer einer 80-stündigen Unterrichtseinheit – einem niederschwelligen Orientierungshilfekurs der VHS – keinen Sprachunterricht. Lediglich die Kinder und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter hatten Zugang zum Schulsystem.

Der Resolution des AK Willkommen in Seligenstadt, auch den Jugendlichen bis zum 21. Lebensjahr den Zugang zum Schulsystem zu ermöglichen, stimmte die Stadtverordnetenversammlung zwar zu; CDU & Grüne Landesregierung lehnten das jedoch ab. Monate später zeigte sie dann doch Einsicht und erfüllte die Forderungen zumindest teilweise. Dabei wird in Sonntagsreden immer wieder betont, dass Spracherwerb der Schlüssel zur Integration ist.

Für den AK Willkommen war immer schon klar, dass eine Unterteilung der Geflüchteten in Gruppen mit guter und schlechter Bleibeperspektive und die unterschiedliche Förderung dieser Gruppen Verwerfungen in vielfacher Hinsicht bringt. Auch Qualifikationen und Kompetenzen, die auf dem Arbeitsmarkt dringend gebraucht werden, bleiben so ungenutzt. Andererseits werden dann mit öffentlichen Geldern mühsam Arbeitskräfte im Ausland angeworben (z. B. in medizinischen Berufen).

Patenschaft für Facharzt Dr. Mohammad 
Das Engagement und die umfangreichen Aktivitäten des AK Willkommen zeigen bereits positive Ergebnisse. Über ein Beispiel berichteten bereits mehrere medizinische Fachmedien, so auch das Hessische Ärzteblatt in der Ausgabe Oktober 2016 (e-Paper-Seite 39): Dr. Zaher Mohammad (54) ist HNO-Facharzt; mit seiner Familie flüchtete er aus der Bürgerkriegshochburg Luhansk in der Ost-Ukraine. Er kam vor zwei Jahren in Seligenstadt an. Der Arbeitskreis-Helfer Dr. Christian Klepzig hat mit seiner Frau die Patenschaft für die Familie übernommen. Die Ehefrau von Dr. Mohammad ist ausgebildete Krankenschwester, auch ein in Deutschland gesuchter „Mangelberuf“.

Die Eingliederung des Ehepaars Mohammad in den deutschen Arbeitsmarkt gestaltet sich unglaublich zäh und setzt sowohl bei den Geflüchteten als auch bei ihren Paten die Geduld und das Durchhaltevermögen von Langstreckenläufern voraus. „In Deutschland hat sich seit dem Hauptmann von Köpenickim Kaiserreich kaum etwas geändert: Ohne Arbeitsgenehmigung keine Aufenthaltserlaubnis und ohne Aufenthaltserlaubnis keine Arbeitsgenehmigung“, beschreibt Flüchtlingshelfer Klepzig die Situation. Er habe gelernt, dass man hier nur mit Beharrlichkeit und einer großen Portion „Nervensägen-Mentalität“ Abläufe sinnvoll beeinflussen könne.

Mut mache aber immer wieder, dass insbesondere bei der Bundesagentur für Arbeit in Dietzenbach Menschen arbeiten, die nicht zuerst die Probleme und Schwierigkeiten sehen, sondern lösungsorientiert arbeiten. „Ohne diese Unterstützung hätte wahrscheinlich sogar ich resigniert“, fasst Klepzig seine Erfahrungen zusammen.

Die Bilanz nach 15 Monaten ist sehr erfreulich. Familienvater Mohammad besucht einen Kurs in Frankfurt, nach dessen Abschluss er die so genannte „Gleichwertigkeitsprüfung“ für Ärzte ablegen und die deutsche Approbation erhalten kann. Die für diesen Kurs erforderlichen Deutschkenntnisse hat Dr. Mohammad in einem ersten Deutschkurs erworben, den ihm der AK Willkommen vermittelt hat, sowie in einem Kurs am Goethe-Institut in Frankfurt, der über private Spender finanziert wurde. „Mein Kollege ist ein Sprachgenie. Er beherrscht mit Deutsch jetzt die fünfte Fremdsprache sicher“, sagt Christian Klepzig bewundernd über seinen ärztlichen Kollegen, der ihm längst ein Freund geworden ist.

Auch für die Kinder von Dr. Mohammad wendet sich nach und nach alles in Richtung Integration: Tochter Fatima (24) bereitet sich im Rahmen des Projektes „Wirtschaft integriert“ durch ein Praktikum auf ihre Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten vor. Sohn Arsalan (18) orientiert sich im gleichen Projekt in Richtung Berufsausbildung.

Harte Geduldsprobe 
Nur Frau Mohammad sitzt noch zwischen allen Stühlen. „Bei ihr ist am deutlichsten die schlechte Strukturierung der Abläufe zu sehen. Die Familie wartet jetzt seit über zwei Jahren auf eine Entscheidung im Asylverfahren. Frau Mohammad würde sehr gerne arbeiten, bekommt aber keinen Deutsch-Grundkurs. Die Bundesagentur für Arbeit kann jedoch erst Kurse zum Einstieg ins Berufsleben fördern, wenn ein gewisses Sprachniveau gegeben ist. Hier beißt sich doch die Katze in den Schwanz“, ärgert sich Helfer Klepzig. Dazu würde er mit den politisch Verantwortlichen gern einmal Klartext reden.

Ein weiteres wichtiges Anliegen ist ihm das bürgerliche Engagement. Nachdrücklich appelliert Klepzig „nicht nur an Ärztinnen und Ärzte “, sich im Rahmen von „Patenschaften“ mehr für Flüchtlinge zu engagieren. „Eine Million Flüchtlinge sollten doch wohl eine Million Paten finden können. “Jetzt sei jeder gefragt, etwas für Integration zu leisten und nicht immer nur darüber zu klagen, was „der Staat “wieder nicht oder falsch organisiere. „Integration wird nur ü ̈ber solche 1:1-Beziehungen gelingen, in denen man den Menschen nicht nur bei Schwierigkeiten hilft, sondern auch Kultur, Sitten und Regeln vermitteln kann. Das gibt Perspektive und ist der sicherste Hebel zur Prävention von Radikalismus auf allen Seiten. “

Das bestätigt auch Zaher Mohammad, der bis zum Start des Vorbereitungskurses in Frankfurt parallel zu seinen Deutschkursen einmal wöchentlich in der Offenbacher Praxis von Dr. Klepzig hospitiert hat: „Es war eine wichtige Zeit, in der ich viel über die ärztliche Tätigkeit und die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten in Deutschland gelernt habe. “  

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